Ich gehe gern auf dem Wochenmarkt einkaufen. Verpackungsfrei und regional. Kürzlich habe ich dort eine Wassermelone gekauft – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Melone war am Kaiserstuhl angebaut und geerntet worden. Zumindest für den Transport bis zu meinem Markt wurde also kaum CO2 produziert. Das war das lachende Auge. Was das weinende Auge war? Für Wassermelonen ist es bei uns in Deutschland eigentlich zu kalt und nass. Deshalb werden sie für den europäischen Markt in der Regel in den südlichen Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien angebaut. Seit ein paar Jahren nun aber ist der Anbau auch am Kaiserstuhl möglich. CO2-Einsparung durch Klimawandel also?
Was Ihnen der Klimawandel bringt
Ich fürchte, das wäre dann doch zu regional und einfach gedacht. Wenn es uns nicht gelingt, die menschengemachte Erderwärmung, die Wassermelonen am Kaiserstuhl wachsen lässt, zu stoppen, wird das Klima kippen. Nicht in 100 oder 200 Jahren, sondern in 30 bis 40 Jahren. Die Gletscher und Pole schmelzen jetzt schon. Regionale Extremwetterereignisse, Hochwasserkatastrophen, Fichtensterben wegen Regenmangels erleben Sie jetzt schon. Und wenn das Klima kippt, wird die südliche Hemisphäre eine unglaubliche Hitzewelle erleben, der Meeresspiegel wird steigen und das Leben in vielen Küstenregionen unmöglich machen.
Und noch mehr Menschen als bisher werden aus ihrer Heimat fliehen müssen, um zu überleben. Sie werden sich auf den Weg machen müssen dorthin, wo die Lebensumstände dann wahrscheinlich noch einigermaßen erträglich sind: in die nördliche Hemisphäre, in die wohlhabenden Länder, die den Klimawandel größtenteils zu verantworten haben, auf den Weg zu uns, zu Ihnen und mir, dorthin, wo die Wassermelonen wachsen.
Warum wir einen Paradigmenwechsel brauchen
Wissenschaftler beschreiben die Erderwärmung und ihre Folgen schon seit Langem. Die Fakten liegen klar auf dem Tisch. Aber niemand mag so ganz genau hinschauen. Die meisten Katastrophen geschehen ja schön weit weg – auf anderen Kontinenten und in der Zukunft. Wir möchten gern so weitermachen wie bisher. Wohlstand durch Wachstum. Die Unternehmen wollen weiter und mehr produzieren, Geld verdienen und die Menschen, die für sie arbeiten, mitverdienen lassen. Das hat ja auch lange Zeit sehr gut funktioniert und wir alle haben davon profitiert – zumindest in den wohlhabenden Ländern.
Aber alle wissenschaftlichen Prognosen zeigen: Es kann nicht mehr lange funktionieren. Und da helfen auch ein bisschen mehr umweltbewusstes Handeln, ein bisschen Verzicht, ein paar klimaneutrale Eigenheime mit Tesla vor der Tür nicht wirklich weiter. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.
Und dazu müssen Wissenschaft, Politik und Unternehmen zusammenarbeiten und ins Handeln kommen in Richtung nachhaltigen, umweltverträglichen Wirtschaftens, in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Die Wissenschaft mit Forschungen zu neuen Techniken, neuen ressourcenschonenden Verfahren, neuen Materialien und Produkten, die wirklich klimaneutral oder noch besser: klimapositiv sind.
Die Politik, indem sie durch Förderung von Innovationen, aber auch mit klaren umweltpolitischen Leitplanken, durch Fordern und Fördern also, unser Wirtschaften und unsere Gesellschaft aufs Gleis, aufs richtige Pferd setzt.
Die Unternehmen, indem sie ihre Innovationskraft nicht für mehr Wachstum und neue, ressourcenintensive Produkte einsetzen, sondern dafür, Produkte zu entwickeln, die wenig Ressourcen verbrauchen, die reparierbar und wiederverwendbar, die recycelbar sind, und indem sie ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Nicht um die Erde zu retten. Sondern um dafür zu sorgen, dass wir weiter auf dieser Erde leben können. Ganz gleich, wo dann die Wassermelonen wachsen, die Sie und ich kaufen.
Heike Hundertmark